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AllgemeinCoaching

Gefühle passieren uns nicht, wir machen sie! Minilektion für den Einstieg in das Thema Gefühle.

By 14. Oktober 2022No Comments

Wenn starke Gefühle im Spiel sind, fällt es uns besonders schwer, konstruktiv zu sein. Wir suchen die Ursache im Außen – in der Situation oder in anderen Menschen. Was unsere Gefühle mit unseren eigenen Gedanken zu tun haben, warum wir für sie verantwortlich sind und wobei uns diese Erkenntnis helfen kann, erklären wir in der nachfolgenden Einstiegslektion in das Thema Gefühle.

Ausgelöst durch Impulse von außen, empfinden wir täglich viele verschiedene Gefühle: Jemand sagt oder tut etwas oder etwas passiert. Wir fühlen etwas. Und egal ob wir das, was wir fühlen, unterdrücken oder impulsiv ausleben, wir tun es meist unbewusst. Und wir reagieren nach einem uns eigenen, für uns typischen Muster auf sie. Das ist häufig kein Problem, der Alltag läuft, wir kommen durch den Tag.

Manchmal empfinden wir unsere Reaktionen auf heftige Gefühle aber als sehr einengend und fragen uns hinterher, warum wir uns nicht anders verhalten haben: Warum habe ich nicht die Klappe gehalten? Warum habe ich ihm nicht endlich mal gesagt, was ich davon halte? Warum habe ich mich nicht zurückgenommen. Warum bin ich nur so laut geworden? Warum habe ich nicht zugehört? Warum war ich eigentlich so dagegen?

Kennt ihr diese Fragen? Wir sehnen uns hinterher danach, dass wir in der Situation in der Lage gewesen wären, anders zu sein. Die gute Nachricht ist: man kann es lernen und mehr Freiheit gewinnen. Die schlechte: das ist nicht leicht, braucht Übung – vielleicht ein Leben lang – und gelingt trotzdem nicht immer. Das gilt besonders für akute Situationen.
Aber es ist oft schon viel gewonnen, wenn wir es wenigstens hinterher schaffen, die Situation anders zu betrachten.
Kurzum, um flexibler reagieren zu können und mehr Freiheit im Umgang mit herausfordernden Situationen zu gewinnen, müssen wir bei uns selbst ansetzen. Warum?

Wir erzeugen unsere Gefühle durch unsere Gedanken, besonders durch unbewusste, subjektive Bewertungen

WIE wir eine Situation, das Verhalten eines anderen Menschen, seine Worte, empfinden, hat sehr viel damit zu tun, wie wir diese interpretieren und welche Schlussfolgerungen wir daraus ziehen. Interpretieren? Schlussfolgern? Ja, das tun wir die ganze Zeit, aber wir merken es nicht. Und genau das ist die größte Herausforderung: wir müssen uns erstmal bewusst werden, dass wir unsere Wirklichkeit in gewisserweise „konstruieren“, indem wir das, was passiert, was wir sehen, hören und spüren einordnen und bewerten – das heißt Schlüsse daraus ziehen, Überzeugungen entwickeln oder bestehende bestätigen. „Sie sagt das zu mir, um mich zu belehren.“, „Ich scheine ihm nicht wichtig zu sein…“ oder „Ich habe wieder alles falsch gemacht…“ sind Beispiele für solche Bewertungen.

Unsere Bewertungen werden durch unsere Persönlichkeitsmuster beeinflusst

Wenn wir also alle bewerten – warum löst ein und dasselbe Verhalten in unterschiedlichen Menschen vollkommen verschiedene Gefühle aus? Das liegt daran, dass unsere Art und Weise zu bewerten einer individuellen, uns eigenen Logik folgt. Es geschieht nach einem Muster das für uns typisch ist und sich von den Mustern anderer Menschen erheblich unterscheidet.
Die Muster entstehen bereits in unserer frühen Kindheit, durch die Art und Weise, wie wir unsere Welt erleben und welche Schlüsse wir aus diesem Erleben über uns selbst ziehen.

Wir sammeln also als Kinder bereits Überzeugungen über uns selbst, und lenken damit schon sehr früh, was wir wahrnehmen und wie wir es wahrnehmen. Viele dieser Schlussfolgerungen verfestigen sich im Laufe unseres Lebens in Form von tief verankerten Glaubenssätzen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Dennoch wirken sie wie Filter, die sich unbemerkt über unsere Wahrnehmung legen und beeinflussen, wie wir etwas betrachten und interpretieren.
Das ist nicht per se schlecht, im Gegenteil! Im Alltag ist das oft sehr praktisch und spart Zeit, da wir automatisch und ohne Anstrengung die Komplexität reduzieren und nur wahrnehmen, was durch unsere Filter gelangt.
Manchmal begrenzt es uns aber auch stark, zum Beispiel wenn es darum geht, beweglich zu sein, uns zu entwickeln oder im Kleinen – wenn wir andere Perspektiven verstehen oder mit einem frischen Blick auf etwas schauen wollen.

Wir sind für unsere Gefühle verantwortlich

Zusammenfassend – und sehr vereinfachend – kann man also sagen, dass wir unsere Gefühle selbst produzieren, wenngleich wir uns dessen nicht bewusst sind. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass andere Menschen oder Einflüsse von außen es NICHT tun, auch wenn sich das für uns häufig anders anfühlt. Sie sind allenfalls Auslöser, aber nicht die Ursache.

Weil wir die Gefühle erst durch unsere Interpretationen erzeugen oder verstärken, macht uns das auch verantwortlich. Das ist einerseits eine große Bürde – andererseits bedeutet es aber auch, dass wir freier sein könn(t)en, als wir das häufig im Alltag erleben. Denn wenn wir unsere Gefühle durch unsere Bewertung erzeugen, haben wir auch die Möglichkeit, etwas an unserem Erleben zu verändern. Wir brauchen dafür nicht die anderen – wir können das ganz allein.

Wir können nicht NICHT bewerten – aber bewusster!

Geht es darum zu lernen, nicht mehr zu bewerten? Bewertungsfrei auf die Welt zu schauen? Nein, denn das geht gar nicht! Wir können aber lernen, bewusster zu bewerten – und somit verantwortlicher damit umzugehen.
Das ist leider in der Realität leichter gesagt als getan und gelingt mit Sicherheit nicht gleich in akuten, herausfordernden Situationen – aber es ist möglich und man kann es trainieren! Und der erste Schritt ist gemacht, wenn man überhaupt begreift, dass unsere Wahrnehmung nicht die einzige Wirklichkeit ist. Sie ist subjektiv und unterscheidet sich von der subjektiven Wahrnehmung der anderen Menschen.

Wofür ist das am Ende gut?

Wenn wir lernen, unsere Bewertungen zu reflektieren, haben wir die Chance, unseren Standpunkt und unsere Perspektive zu erkennen und von dort aus bewusst zu verändern, ohne unseren Impulsen und Gefühlen ausgeliefert zu sein. Wir können uns besser für die Standpunkte der anderen Menschen öffnen. Eine andere Perspektive einnehmen und einen frischen Blick auf eine Herausforderung werfen zu können, sind Ausdruck einer konstruktiven Haltung, die auch so manches unangenehme Gefühl auflösen oder entspannen kann. Das erleichtert es uns, Kompromisse zu finden, neue Ideen zu entwickeln und effektiv an verbindenden Lösungen zu arbeiten. Vor allem aber fühlen wir uns freier – wir können aus unseren engen Mustern ausbrechen. Und selbst, wenn das erst in der „Nachbearbeitung“ klappt: besser spät als nie!

Wenn ihr dieses Thema vertiefen wollt, empfehlen wir euch folgende Bücher:

  • Marshal B. Rosenberg, Konflikte lösen durch Gewaltfreie Kommunikation, Ein Gespräch mit Gabriele Seils, Verlag Herder, 15. Auflage 2012
  • Markus Fischer, Die Neue Gewaltfreie Kommunikation, Empathie und Eigenverantwortung ohne Selbstzensur, Business Village, 2021